Einreicherinnen: Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/DIE PARTEI, SPD-Fraktion
Beschlussvorschlag:
Die Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund
beschließt:
Der Beschlussvorschlag der Vorlage AN 0174/2019 wird ersetzt durch folgenden
Text:
Die Bürgerschaft der Hansestadt
Stralsund beschließt:
Die Bürgerschaft erklärt für die Hansestadt Stralsund den Klimanotstand.
1. Ausgangslage und Dringlichkeit
Mit Ausrufung des Klimanotstands setzt die Hansestadt Stralsund ein deutliches Zeichen dafür, dass die bisherige Klimapolitik der Stadt weiterentwickelt werden muss. Die Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund erkennt ohne Einschränkungen an, dass der Klimawandel und die daraus resultierenden Folgen eine massive Bedrohung der Lebensumstände, auch in der Hansestadt Stralsund, darstellen und die 1,5-Grad-Grenze als nicht verhandelbares Ziel betrachtet wird.
2. Berücksichtigung in Beratungsprozessen
Bei allen künftigen Entscheidungen der Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund sind mögliche Effekte auf das Klima aufzuzeigen. Die Bürgerschaft bevorzugt zukünftig Lösungen, die sich positiv auf Klima, Umwelt und Artenschutz auswirken.
3. Konkrete
Auswirkungen auf Beschlussvorlagen
Ab Januar 2020 wird hierzu für sämtliche politische Beschlussvorlagen das Kästchen „Auswirkungen auf den Klimaschutz“ mit den Auswahlmöglichkeiten „Ja, positiv“, „Ja, negativ“ und „Nein“ verpflichtender Bestandteil. Wird die Frage mit „Ja, positiv“ oder „Ja, negativ“ beantwortet, muss die jeweilige Auswirkung in Zusammenarbeit mit dem/der Klimaschutzbeauftragten in der Begründung dargestellt werden.
4. Einbeziehung und Mitwirkung der Zivilgesellschaft
Es sind Projekte und Veranstaltungen zur Einbeziehung der Stralsunder Bürger*innen, der Verwaltung und von Vereinen, Organisationen und Unternehmen zu initiieren. In einem breit aufgestellten und konstruktiven Dialog werden die Möglichkeiten zur Erreichung der Klimaschutzziele der Hansestadt Stralsund ausgelotet und entsprechende Maßnahmen abgeleitet. Die Hansestadt Stralsund bietet mehrmals im Jahr Informationsveranstaltungen an, um öffentlich über das Klimaschutzkonzept der Hansestadt und dessen Umsetzungsstand zu informieren und so allen Bürger*innen die Chance einzuräumen, sich aktiv am ökologischen Wandel in unserer Stadt zu beteiligen.
5. Maßnahmen zur Erreichung von CO2- und weiteren
Klimagaseinsparungen
Folgende Maßnahmen werden mit dem Ziel der beschleunigten Erreichung der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele der Hansestadt Stralsund geprüft und der Bürgerschaft zur Beschlussfassung vorgelegt:
a. Priorisierung und Verstetigung von Klimaschutz-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsaktivitäten in der Verwaltungsstruktur
Der Oberbürgermeister wird gebeten, die Einrichtung einer
Stabsstelle „Klimaschutz“ ab dem Haushaltsjahr 2020 zu prüfen, um die
verschiedenen Aktivitäten der Hansestadt Stralsund im Bereich des Klima- und
Umweltschutzes sowie zur Erreichung der bereits beschlossenen
Nachhaltigkeitsziele in der Verwaltungsstruktur zusammenzuführen und zu
verstetigen.
b. Evaluation und Weiterentwicklung des Klimaschutzkonzeptes und Veröffentlichung der Klimabilanz
Das Klimaschutzkonzept ist regelmäßig in Zusammenarbeit mit der Hochschule Stralsund, den Umwelt- und Naturschutzverbänden, den Stadtwerken Stralsund und dem/der Klimaschutzmanager*in der Hansestadt zu evaluieren und zu überarbeiten. Die nächste Überarbeitung nimmt unter Anderem den Zeithorizont bis 2030 in den Blick und zeigt Maßnahmen und Wege auf, die auf diese Zeitspanne ausgelegt sind und umfassende, positive Auswirkungen auf die Klimabilanz der Hansestadt haben.Hierzu ist dem zuständigen Fachausschuss mindestens jährlich in Form einer Klimabilanz Bericht zu erstatten, um die zeitgemäße Umsetzung der geplanten Maßnahmen zu überwachen. Insbesondere ist im Rahmen dieser Berichte darzulegen, welche Einsparungen sich durch bereits umgesetzte und in Planung befindliche Maßnahmen verwirklichen lassen. Im Rahmen einer Soll-Ist-Analyse ist über die Einhaltung der Emissionsziele sowie etwaiger Abweichungen auch durch neu hinzugekommene Emissionsquellen zu informieren. Es ist darüber hinaus zu prüfen, ob die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Klimaschutzkonzept und die dadurch festgelegten Ziele mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen. Die erste nach diesen Maßstäben erfolgte Überarbeitung des Klimaschutzkonzeptes und die erste Klimabilanz sind der Bürgerschaft im ersten Quartal 2020 vorzulegen. Bis zum Ende dieses Jahres ist zu prüfen, welche Maßnahmen aus dem bisherigen Klimaschutzkonzept vorgezogen werden können, die Ergebnisse sind dem Ausschuss für Bau, Umwelt, Klimaschutz und Stadtentwicklung und den Fraktionen und Einzelbürgerschaftsmitgliedern zur Beratung vorzulegen. Parallel sollte jede Maßnahme hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Klimagaseinsparungen (insb. CO2) elektronisch bilanziert werden, um die Klimagasbilanz der Hansestadt transparent und öffentlich einsehbar zu machen.
c. Klimaneutrale Energieversorgung und Energiemanagement der Stadtverwaltung
Der Oberbürgermeister wird beauftragt zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, um die Energieversorgung der Stadtverwaltung so schnell wie möglich vollständig auf regenerative Energien umzustellen. Hierbei ist besonders der Bezug einer zu 100% ökologischen Wärme- und Stromversorgung zu prüfen. Die verschiedenen Möglichkeiten und finanziellen Auswirkungen sind der Bürgerschaft zur Beschlussfassung vorzustellen. Die inhaltlich besonders betroffenen Abteilungen der Stadtverwaltung (z.B. ZGM, Liegenschaften etc.) werden beauftragt, weitere Vorschläge zur Energieeinsparung und zur Weiterentwicklung des Energiemanagements in städtischen Einrichtungen und Gebäuden zu erarbeiten und diese den Gremien der Bürgerschaft zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen.
d. Stadtwerke-Zielkatalog
Die SWS Stadtwerke Stralsund GmbH wird von der Gesellschafterin aufgefordert, bis zum Frühjahr 2020 gemeinsam mit dem Klimaschutzmanager ein Konzept vorzulegen, wie ein schnellstmöglicher, vollumfänglicher Ausstieg der Stadtwerke aus Kohle und Kernenergie umgesetzt sowie eine Umstellung des gesamten Strom-Mixes auf erneuerbare Energien – auch ohne eine weitere Belastung der Verbraucher*innen – vorgenommen werden kann. Darüber hinaus sind weitere Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Fernwärme und zur quartiersnahen Erzeugung und Versorgung mit regenerativer Energie/Wärme in Neubaugebieten/ neu aufzustellenden B-Plan- Gebieten zu entwickeln.
e. Mobilität für die Stadt
Die Stadtverwaltung wird gebeten, bis zum Frühjahr 2020 in
Zusammenarbeit mit dem Ausschuss für Bau, Umwelt, Klimaschutz und
Stadtentwicklung ein Konzept zur kommunalen Verkehrswende zu erarbeiten und der
Öffentlichkeit sowie den Gremien der Bürgerschaft zur Diskussion vorzustellen.
Für die Haushaltsberatungen zum Haushalt 2020 wird die Stärkung des Nahverkehrs
unter Berücksichtigung der folgenden Ziele vorbereitet:
- Linienerweiterung und verbesserte Anbindung an das Umland
- Erhöhung der Taktfrequenzen
- Kostensenkung oder -freiheit
Zusätzlich wird die Verwaltung beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss
für Bau, Umwelt, Klimaschutz und Stadtentwicklung, dem Ausschuss für Mobilität
des Landkreises und der Öffentlichkeit/Zivilgesellschaft einen Maßnahmenplan
zur Steigerung der Attraktivität des Radverkehrs und dessen Kombination mit dem
Nahverkehr zu erarbeiten. Hierzu ist an das bestehende Klimaschutzteilkonzept
„Klimafreundliche Mobilität - Stralsund steigt um“ anzuknüpfen.
f. Nachhaltiges
Bauen stärken
Soweit die Stadt im Rahmen
städtebaulicher Verträge, Grundstückskaufverträge oder Erbbaurechtsverträge
über eine entsprechende Handhabe verfügt, z.B. durch die Erstellung eines
Bebauungsplanes, wird für Neubauten eine in der Jahresbilanz klimaneutrale
Energieversorgung mit möglichst hohem Anteil lokal verfügbarer, regenerativer
Energien als Ziel angestrebt. Bei Neubauprojekten soll dargelegt werden, welche
Optimierungsmöglichkeiten bei den sogenannten „grauen Emissionen“ (Emissionen
durch die Erstellung der Gebäude) bestehen. Öffentliche Bauvorhaben und
Bauvorhaben der Hansestadt werden zukünftig nur noch entsprechend
der Vorgaben zum Nachhaltigen Bauen mit einer entsprechenden Zertifizierung
errichtet.
g. Nachhaltige und emissionsarme Landwirtschaft
Die Hansestadt Stralsund soll
darauf hinwirken, dass bei Neuverpachtungen bzw. Pachtverlängerungen von
landwirtschaftlichen Flächen Pachtkriterien zu Grunde gelegt werden, die einer
nachhaltigen und emissionsarmen landwirtschaftlichen Bewirtschaftung den
Vorrang geben, so dass es hier zur deutlichen Reduzierung von schädlichen
Emissionen kommt.
h. Reduzierung von eigenen Emissionen
Die Hansestadt Stralsund soll in der Verwaltung und in städtischen Betrieben direkte Ursachen für Treibhausgasemissionen reduzieren, wozu insbesondere die Vermeidung von Inlandsflugreisen, Autofahrten und die Schaffung von zusätzlichen, rein pflanzlichen Angeboten in Kantinen etc. gehören. Zudem kann auch die Digitalisierung auf vielen Ebenen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Daher sollen Stadtverwaltung und städtische Betriebe durch den Umstieg auf digitale Kommunikation und Speicherung den Verbrauch von Papier und das Ausmaß an Fahrtwegen deutlich reduzieren.
Begründung:
Trotz weltweiter Bemühungen
über Jahrzehnte, den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren, nimmt deren
Konzentration Jahr um Jahr zu. Alle Maßnahmen, dem Klimawandel entgegen zu
wirken, haben bisher keinen Erfolg gezeigt. Die Wissenschaft prognostiziert
verheerende Folgen für die menschliche Zivilisation und die Natur auf dem
Planeten Erde. Der Klimawandel ist nicht bloß ein Umweltproblem: Er ist auch
ein Wirtschafts-, Sicherheits-, Tierschutz-, Friedens- und soziales Problem.
Die Initiative „Climate
Alliance“, der die Hansestadt Stralsund seit 2009 angehört, unterstützt
ausdrücklich die Ausrufung des Klimanotstandes in Kommunen und viele unserer
Partnerstädte haben dies auch bereits getan. http://www.climatealliance.org/municipalities/climate-emergency/
Am 15. März 2019 demonstrierten deutschlandweit über 300.000 Menschen im Rahmen der Fridays-for-Future-Bewegung für einen konsequenten Klimaschutz. Auch in Stralsund gingen viele hundert, vornehmlich junge Menschen auf die Straße, um auf den aktuellen globalen Klimanotstand aufmerksam zu machen.
Es kann und soll nicht erwartet
werden, dass die Lösung dieses Problems alleine durch Eigenverantwortung und
von Einzelpersonen erreicht wird. Es braucht jetzt auf kommunaler, regionaler,
nationaler und internationaler Ebene zielführende Maßnahmen, um dieser
drohenden Katastrophe entgegenzuwirken. Es ist dringend erforderlich, jetzt auf
allen Ebenen von Gesellschaft und Politik zu effizienten und konsequenten
Maßnahmen zu greifen, um die Katastrophe noch aufzuhalten.
Weltweit haben Kommunen wie Greifswald, Los Angeles,
Mailand, Vancouver, London, Basel, Zürich, Bern, Heidelberg, Konstanz, Kiel,
Herford, Münster, Erlangen, Bochum, Ludwigslust und auch das britische,
katalanische sowie das irische Parlament den Klimanotstand ausgerufen und damit
ein Signal gesetzt.
Die Erderwärmung zieht
Naturkatastrophen und massenhafte Fluchtbewegungen nach sich.
Wenn der Meeresspiegel steigt,
werden die Deiche erhöht, besser ist es jedoch, einem steigenden Meeresspiegel
von Anfang an vorzubeugen. Das erfordert Umstellungen in unserem Produktions-
und Konsumverhalten. Die Erderwärmung aufzuhalten bedeutet Gefahrenabwehr und
ist eine Kernaufgabe des Staates.
Die Kommunen als wichtiger Teil
des Staates haben einen merkbaren Einfluss auf das Verhalten ihrer Bürger.
Darüber hinaus treffen sie Investitionsentscheidungen, die für das Klima
relevant sind. Im Pariser Klimaschutzabkommen ist die Bundesrepublik
Deutschland die völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, die globale
Erwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu halten. Die Kommunen haben die Aufgabe,
die Bundesregierung bei der Erfüllung dieses Ziels zu unterstützen.
Das wichtigste Mittel, die Erwärmung der Atmosphäre zu
verhindern, ist die Reduktion des Nettoausstoßes von CO2 und anderen
Treibhausgasen. Bereits jetzt gibt es viele gesellschaftliche und technische
Innovationen, die es uns ermöglichen, die Lebensqualität und den Wohlstand zu
erhalten und dennoch das Ziel zu verwirklichen, die weltweiten Emissionen von
Treibhausgasen bis 2030 auf Null zu reduzieren. Voraussetzung ist jedoch
hierfür ein entschlossenes Umsteuern. Bisher steht fest, dass Deutschland sein
selbstgesetztes Ziel der CO2-Reduktion bis 2020 verfehlen wird. Die bisher
eingetretenen Verzögerungen rechtfertigen es, von einem Notstand zu sprechen.
Dieser Tatsache will sich Stralsund stellen und damit dem Ernst der Lage
gerecht werden.