Anfrage:
1. Was tut die Hansestadt Stralsund um das Ackerbürgertum in Stralsund zur Sicherstellung seines Fortbestandes als immaterielles Kulturgut zu erhalten?
2. Welche Maßnahmen wurden unternommen zur Sicherstellung des Fortbestandes des Ackerbürgertums einschließlich der Ermittlung des Bestandes, der Dokumentation, der Forschung, der Förderung, der Aufwertung, der Weitergabe, insbesondere durch schulische und außerschulische Bildung, sowie zur Neubelebung dieses Erbes?
3. Sieht die Stadt mit der Widerentdeckung und Neubelebung dieser fast verloren gegangenen Gesellschaftsschicht Möglichkeiten dieses für ihre zukünftige Planung der Stadtentwicklung „Grüne Stadt am Wasser“ nutzbar zu machen?
Herr Dr. Schleinert antwortet wie folgt:
zu 1. und 2.:
Beim Ackerbürgertum handelt es sich um eine Wirtschaftsform, die nicht
mehr existiert. Daher kann der Fortbestand dieses Kulturguts in seiner Ausübung
bzw. Praxis nicht sichergestellt werden und auch eine Wiederbelebung ist nicht
realistisch.
Kurz zur Einordnung und zum Begriff:
Bei einem „Ackerbürger“ handelte es sich um einen städtischen Bürger,
der den Großteil seiner Einkünfte aus landwirtschaftlicher Tätigkeit erzielt.
Mit der Gründung von Städten wurden stets auch die im direkten Umfeld gelegenen
Flächen, die so genannte Stadtfeldmark, landwirtschaftlich genutzt. In der
Regel waren es städtische Bürger, denen diese Nutzung oblag. Die
„Ackerbürgerhäuser“ sind auf diese Tätigkeit ausgerichtete funktionelle
Gebäude, die sowohl Wohnzwecken als auch der Unterbringung des Viehbestandes
dienten. Reglementiert durch baupolizeiliche Vorschriften handelte es sich
dabei in Stralsund fast ausnahmslos um einfache, in Fachwerk ausgeführte,
einstöckige Traufenhäuser, die im Inneren in einen Wohn- und einen Stallteil
untergliedert waren. Bis weit in das 19. Jahrhundert prägte dieser Haustyp die
Stralsunder Vorstädte. Durch die großflächige Bebauung der Vorstädte mit
modernen Wohnhäusern, wegen strengeren Hygienevorschriften und Unrentabilität
spielte diese Wirtschaftsform ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine
Rolle mehr. Der Großteil des Bestandes an Ackerbürgerhäusern wurde im Lauf der
Zeit zu reinen Wohnhäusern umgebaut oder abgerissen.
Es handelt sich beim Ackerbürgertum also um ein historisches Phänomen,
das es so nicht mehr gibt, schlichtweg weil die Grundlage fehlt: Ackerflächen
in der notwendigen Größe sind im Stadtgebiet nicht mehr vorhanden.
Was bewahrt werden kann, ist das Wissen um das Kulturgut. Im Bereich der
Vermittlung des kulturellen Erbes ist der Stralsunder Zoo sehr aktiv.
Er beschäftigt sich seit seiner Gründung im Jahr 1959 mit der Haltung
und Zucht seltener, vom Aussterben bedrohter Haustierrassen. Um für diese
Haustierrassen einen passenden Rahmen zu schaffen, wurde Ende der 1990-er Jahre
eine kleine Sammlung mit landwirtschaftlichem Inventar aufgebaut und nach
passenden Gebäuden gesucht. Im Jahr 2000 gelang es, ein Ackerbürgerhaus aus der
Alten Richtenberger Straße in den Zoo umzusetzen. In diesem Zusammenhang wurden
mehrere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Erforschung der
Ackerbürgerwirtschaften im Bereich der Hansestadt Stralsund durchgeführt. In
Kooperation mit dem Stadtarchiv wurden die noch bestehenden Ackerbürgerhäuser
registriert und fotografisch dokumentiert. Parallel dazu wurde das 2003
eröffnete Ackerbürgerhaus im Zoo mit typischem Inventar ausgestattet.
Heute ist das Ackerbürgerhaus im Stralsunder Zoo ein Zeugnis der
Ackerbürgerwirtschaft des 19. Jahrhunderts und Anziehungspunkt mit seinen
Ausstellungen, dem historischen Ambiente und nicht zuletzt durch die
„Stralsunder Mittwochsspinner“, die sich ganzjährig zur Pflege ihres Handwerks
im Ackerbürgerhaus treffen.
zu 3.:
Die Lebensgrundlage der früheren Ackerbürger waren ihre Flächen im
Stadtgebiet (oder im nahen Umfeld) und ihre Tierbestände. Diese Lebensgrundlage
existiert heute faktisch nicht mehr, da einerseits die Flächen bebaut wurden
und andererseits eine Tierhaltung im urbanen Raum nur sehr eingeschränkt
möglich ist. Deshalb wird eingeschätzt, dass es nicht mehr möglich sein wird,
diese Wirtschaftsform in ihrer ursprünglichen Funktion wiederzubeleben.
Frau Kühl hat keine Nachfrage.
Auf die beantragte Aussprache wird verzichtet.